Peter Wohlleben dürfte das so märchenhaft gar nicht vorkommen. Dass Bäume eine Sprache haben und Freundschaften pflegen, dass sie "kuscheln", ihre "Baumbabys stillen" und ihre Baumkinder "erziehen", ist ihm sonnenklar. Er erzählt davon in "Das geheime Leben der Bäume" (Ludwig, 224 S., 19,99 €), einem Buch, dessen man in dieser Woche so schwer habhaft wurde wie einem holterdiepolter nach Isengart aufgebrochenem Ent. Denn offenbar hatte der Ludwig-Verlag unterschätzt, wie dringend wir nachlesen wollten, was wir insgeheim immer schon wussten: dass Bäume fühlende Wesen sind – sesshaft gewordene Ents, wenngleich ohne mythischen Auftrag.
Aber "kuscheln"? "Stillen"? "Erziehen"? Besser, als den Förster zu verdächtigen, ein kitschunempfindlicher Esoteriker zu sein, bewundert oder bestaunt man doch wenigstens die Unerschrockenheit, mit der Peter Wohlleben Metaphern setzt und Vergleiche wagt, wobei er sich gelegentlich mit einem beinahe rüden "Der wesentliche Unterschied ist reine Wortklauberei" selber Mut macht. Der Förster aus Leidenschaft, der in Hümmel ein mehrfach preisgekröntes Projekt namens "Wilde Buche" begründet hat, im Wald wieder mit Rückepferden arbeitet und dem Naturschutz auch schon mal durch die Einrichtung eines Urnenfriedhofs im Wald auf die Sprünge hilft, hat eine Mission. Sein Buch hat pädagogischen Anspruch, und was sich manchmal wie Esoterik ausnimmt, ist in Wahrheit wild entschlossene Didaktik.
Das beiseite, ist "Das geheime Leben der Bäume" ein faszinierendes Buch über eine gewaltige Kreatur, der es offenbar gelungen ist, sich vor unser aller Augen zu verstecken. Vielleicht haben die Bäume ja unsere Fantasie angeregt, um sich unserem Forschergeist zu entziehen (denken Sie sich an dieser Stelle ein paar der sonst unausweichlichen Bemerkungen zum Thema "Die Deutschen und der Wald"). In jedem Fall ist es verblüffend, dass der Mensch zum Mond geflogen ist, ohne sicher zu wissen, wie Bäume das Wasser bis in ihre Wipfel schaffen, oder restlos geklärt zu haben, wie sie kommunizieren. Dass Duftstoffe dabei eine Rolle spielen, ist klar, dass Pilze ihre Fäden und Myzel das "Internet des Waldes" sind, ist eine dieser didaktischen Wohlleben-Metaphern, eine der wenigen übrigens, die – siehe "kuscheln", "stillen", "erziehen" – nur auf Umwegen anthropomorph ist. Dabei ist Wohlleben eigentlich auf das glatte Gegenteil aus: Er will Bäume gar nicht vermenschlichen, eher will er Menschen verbäumen.
In seinem Revier in Hümmel sind Wohlleben einige zwischen einem und zwei Meter hohe Jungbuchen aufgefallen, die er früher auf ein Alter von zehn Jahren geschätzt hätte. Heute kann er die kleinen Knoten auf den Zweigen deuten, "die wie ein Stapel feinster Falten aussehen" und sich wie Jahresringe zählen lassen. Und so stellt sich heraus, dass die vermeintlichen Jungbuchen wenigstens 80 Jahre alt sind und von ihren "Eltern", das heißt den älteren umstehenden Bäumen, durch Lichtdrosselung zu einem langsamen Wachstum "erzogen" werden. Ergibt das Sinn? In jedem Fall hat es einen Zweck: Wer langsam groß wird, bleibt es länger. Wir Menschen, schreibt Wohlleben, verlören leicht den Blick dafür, was wirklich alt sei. Bäume, das vor allem, sind Superhelden der Entschleunigung."
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Quelle: http://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article143524235/Aus-dem-Baeumischen-von-Peter-Wohlleben.html 150708