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Tabuthemen im deutschen Fußball

Der ehemalige Schiedsrichter Babak Rafati spricht über seine Depressionen und über die großen Tabuthemen im deutschen Fußball, zu denen auch Burnout und Depressionen gehören.

"Niemand geht zum Psychologen

Vor vier Jahren versuchte sich Babak Rafati das Leben zu nehmen – Depressionen. Er ließ sich therapieren und wurde wieder gesund. Jetzt will er Leidensgenossen helfen.

 

Babak Rafati, gibt es noch Tabuthemen im deutschen Fußball?
Selbstverständlich.
 
Welche?
Homosexualität. Depressionen. Mobbing. Burnout.
 
Sie selbst waren jahrelang erfolgreicher Fifa-Schiedsrichter. Vor dem Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Mainz 05 am 19. November 2011, bei dem Sie als Schiedsrichter angesetzt waren, versuchten Sie sich das Leben zu nehmen. Das Spiel wurde abgesagt, Ihre Karriere als Unparteiischer war vorbei. Anschließend gaben Sie Depressionen als Auslöser für Ihren Suizidversuch an, begaben sich in Behandlung und wurden wieder gesund. Was meinen Sie: Warum werden die Themen Depression, Mobbing und Burnout in der Bundesliga tabuisiert?
Weil das für viele Menschen etwas Fremdes ist. Und wenn etwas fremd ist, dann will man damit erstmal nichts zu tun haben. Es kostet immer Überwindung, sich mit etwas Fremden auseinanderzusetzen. Das gilt in diesem Zusammenhang ja nicht nur für den Fußball, sondern auch für die Gesellschaft.
 
Ihr Fall hat auf dramatische Art und Weise gezeigt, zu welchen Auswüchsen solche Tabuisierungen führen können. Wie geht man dem entgegen?
Indem man offen und ehrlich darüber spricht. Nehmen wir das Thema Sex. Vor 20, 30 Jahren war Sex in der Gesellschaft ebenfalls ein Tabu. Heute spricht jeder über Sex, ohne sich dabei schämen zu müssen. Ich hoffe, das wird auch irgendwann beim Thema Depression und Co. so sein. Bloß braucht es dafür Menschen, die sich hinstellen, ihr Gesicht zeigen und darüber sprechen.
 
Sind Sie ein geeigneter Kandidat dafür?
Ich denke schon. Ich sage: »Leute, ich habe viel falsch gemacht und dafür die Quittung erhalten. Zum Glück bin ich noch hier, um euch mitzuteilen, dass ich ein Vorbild dafür war, wie man es nicht macht.« Das sehe ich als meine Aufgabe an: Meine eigene Geschichte zu nutzen, um mitzuhelfen, diese Fehlerkultur in in unserer Gesellschaft zu ändern.
 
Sie sind gegenwärtig als Referent und Mentalcoach in der freien Wirtschaft unterwegs. Thema: »Präventions-Strategien gegen Burnout«. Wie ist das Feedback auf Ihre Arbeit?
Wesentlich aufschlussreicher, als ich dachte. Schon während der Veranstaltungen sehe ich meinem Publikum an, wie wissensgierig die bei diesen Sachen sind. Und hinterher kommen regelmäßig hohe Führungskräfte zu mir, bedanken sich und sagen: »Vielen Dank, dass sie mir den Spiegel vorgehalten haben. Sie haben bewirkt, dass ich mein Leben ändern werde.« Das ist natürlich fantastisch für mich, wenn ich die Menschen so erreiche. Aber es zeigt auch, wie erschreckend verbreitet Stress, Leistungsdruck, Mobbing, Burnout und Depressionen in unserem Arbeitsalltag sind.


Und da reicht ein Vortrag, um gestresste Manager das eigene Leben überdenken zu lassen?
Bestimmt nicht bei jedem. Aber besagter Spiegel, den ich ihnen vors Gesicht halte, zeigt eine hässliche Fratze. Ich kann das förmlich sehen, wie sich in den Köpfen der Zuhörer eine Stimme meldet: »Verdammte Scheiße, das geht mir ganz ähnlich.« Und mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne liegend möchte schließlich niemand enden.
 
Und welche Ratschläge geben Sie den Zuhörern mit auf den Weg, um nicht so zu enden, wie Sie im November 2011?
Ich erzähle Ihnen z.B. vom Spiel zwischen dem HSV und Mainz in 2011, als ich den Mainzern ein Tor zugestand, was keines war, der HSV verlor und ich anschließend an den Pranger gestellt wurde. Mit negativen Reaktionen von Fans und Medien muss man als Schiedsrichter klar kommen. Aber in meinem Fall stellt sich auch noch mein Chef auf die Gegenseite, obwohl den Fehler mein Assistent machte. Zitat: »Jeder darf Fehler machen. Nur du nicht Babak.« Damals habe ich den großen Fehler gemacht, diesem Mobbing den Kampf anzusagen. Ich wollte ja Stärke zeigen, mich durchbeißen, das typische Männerideal. Hätte ich einen kühlen Kopf bewahrt und mir gesagt: »Der fühlt sich doch nur stark, wenn er mich schwächt«, wenn ich also eine kleine Niederlage im Sinne meines Wohlergehens akzeptiert hätte, wäre ich vielleicht nicht in der Badewanne gelandet.

 

Ihr Fall erinnert in einigen Elementen stark an Uli Borowka, der mit seiner Alkoholbeichte vielen Menschen als Vorbild diente und dient und dank seiner Prominenz ebenfalls erstaunlich vielen Leuten einen Spiegel vorhalten kann. Wie bei Borowka sieht man auch in Ihrem Homepage-Gästebuch Einträge wie »Nachdem ich sie gestern bei Lanz habe sprechen hören, wurde mir klar, dass ich eine Depression habe.«
Solche Einträge und das angesprochene direkte Feedback nach Veranstaltungen sind ja nur ein Bruchteil von dem, was ich sonst an Rückmeldungen bekomme. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Menschen mir persönliche Nachrichten und Mails schicken. Sie bedanken sich, suchen nach Hilfe oder erzählen mir, dass ich der Grund sei, warum sie sich jetzt Hilfe nehmen würden.
 
Ist der Bedarf nach, nennen wir es »Hoffnungsträgern«, so hoch?
Ich denke schon. Neulich war ich auf einer Veranstaltung in Magdeburg. Für mein Plädoyer »Miteinander, Füreinander, statt Gegeneinander« haben sich anschließend gleich 50 Leute bedankt. Die Menschen lechzen danach, dass sich jemand hinstellt und die Missstände in unserer Gesellschaft offen und ehrlich anspricht, ohne dabei anzuklagen oder zu jammern. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind der Schlüssel zum Erfolg.
 
Sie halten Ihre Vorträge in der freien Wirtschaft. Gibt es Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen dem Profifußball und dem normalen Berufsleben?
Fußball ist doch immer nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Aber ein zum Teil verzerrtes, weil die Vorraussetzungen noch einmal andere sind. Ganz einfach gesprochen: Im Fußball geht es um viel mehr Kohle und je mehr es um Geld und Macht geht, desto raubtierkapitalistischer funktioniert das menschliche Denken. Also sind auch all die negativen Seiten – der Leistungs- und Erwartungsdruck, der Stress, das Mobbing, die Gefahr für Mobbing, Burnout oder Depression – stärker ausgeprägt. Gleichzeitig wird auch Profifußball nur von Menschen gespielt und entschieden. Menschen haben Gefühle, Menschen gehen unterschiedlich mit ihren Gefühlen um. Und da macht es überhaupt keinen Unterschied, ob jemand 20.000 oder zwei Millionen Euro pro Jahr verdient.
 
Sie waren seit 1997 DFB-Schiedsrichter. Welche Fehler haben Sie gemacht, dass es bis zum Vorfall am 19. November 2011 kommen konnte?
Den, den so viele andere auch machen: Ich habe nicht begriffen, dass es eine Stärke ist, wenn man sich zu seinen Schwächen bekennt. Dass ich nicht begriffen habe, dass man auch geliebt und respektiert wird, wenn man Schwächen hat und zeigt. Dass es keine Schande ist, zu versagen, Fehler zu machen, zu weinen.
 
Was macht es im Fußball so schwer, Schwächen zu zeigen? Der öffentliche Druck? Das Geld? Die Leistungsansprüche der Arbeitgeber, also der Klubs?
All das sind Bausteine des Problems. Aber man muss jeden Fall einzeln betrachten, es gibt keine Universallösung. Der eine ist Prestigemensch, den macht es fertig, wenn ihn die Presse zerreißt. Der andere glaubt an Loyalität und bricht zusammen, wenn ihn der eigene Chef in die Pfanne haut. Mit war es relativ wurst, dass mich der »Kicker« zum schlechtesten Schiri kürte. Aber der menschenverachtende Umgang meiner Vorgesetzten und die Bestätigung der Kollegen dieses Vorgehens haben mich hart getroffen.
 
Sie nennen bewusst nicht den Namen Ihrer Vorgesetzten  – es handelt sich um den Vorsitzenden der DFB-Schiedsrichter-Kommission Herbert Fandel und Helmut Krug von der DFL – und haben es in diesem Interview bislang vermieden, Kritik am DFB zu üben. Das war vor einiger Zeit noch anders. Warum?
Ich habe meine Sichtweise auf die Dinge geändert. Früher war ich sehr wütend über das, was man mir angetan hat. Dann war ich wütend über die Ignoranz der Verbände, obwohl ich gedacht hatte, dass mein Fall als deutliches Warnsignal Wirkung zeigen würde. Aber heute denke ich anders. Lasst uns nicht über andere sprechen. Lasst uns über uns selbst sprechen! Mein Leitspruch ist: »Niemand ist in der Lage, mich zu verletzen. Außer ich selbst, wenn ich es zulasse.« Und letztlich hoffe ich auch, dass der DFB erkennt, dass ich ihm nicht vors Knie treten möchte, sondern stattdessen meine Hand ausstrecke. Gemeinsam könnte man so viel im Interesse der Spieler und Verantwortlichen sowie für die Berufswelt erreichen.

 

Der Fußball ist moderner geworden, vor allem die Ausbildung und Rundumbetreuung der Spieler. Haben es Fußballer der Gegenwart nicht leichter mit psychischen Problemen? Schließlich in fast jeder Mannschaft ein Teampsychologe zur Verfügung.
Ich habe recht viel Kontakt mit aktuellen Bundesliga-Profis. Da ist nicht einer dabei, der mit seinen Problemen zum vom Verein gestellten Psychologen geht. Nicht einer!
 
Warum?
Weil diese Spieler Angst haben, dass das, was sie dem Psychologen erzählen, doch durchsickert und letztlich ihrer Karriere schadet. Psychologen sind eine gute Sache. Aber entscheidend ist, dass sich in unserem gesellschaftlichen Denken – und da schließe ich den Fußball mit ein – etwas ändert. Depression oder Burnout dürfen kein Tabuthema mehr sein!
 
Sie sprachen Mobbing bereits an. Wie akut ist dieses Thema im deutschen Fußball?
Sehr akut! Unter Schiedsrichtern und Spielern.
 
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich habe nach schwächeren Leistungen sofort SMS von Kollegen bekommen. Um mich zu schwächen. Ich habe es miterlebt, wie sich meine Assistenten hinter meinem Rücken über die Rüffel meiner Vorgesetzten freuten. Weil sie sich durch meine Fehler selbst Aufstiegschancen erhofften. Sie glauben gar nicht, wie verbreitet Mobbing in der Bundesliga ist. Das berichten mir aktuell auch Schiedsrichter sowie Bundesligaspieler.
 
Sind Fußballer, Trainer und Schiedsrichter anfälliger für einen Burnout?
Ja. Umso mehr Geld es geht, desto höher ist der Leistungsdruck. Und damit die Gefahr eines Burnouts. Das Schlimmste an der Sache ist, dass du all deine Energie darauf verwendest, mit diesem Druck klar zu kommen und dabei die Signale deines Körpers überhörst bzw. ignorierst. Irgendwann ist es zu viel und die Seele reagiert. Dann ist es meistens zu spät.
 
Fußballer sind häufig länger verletzt. Kann so eine Zwangspause nicht auch dazu dienen, mal innezuhalten und sich mit den Folgen dieses Drucks auseinanderzusetzen?
Im Gegenteil. So eine Verletzung setzt dich ja noch mehr unter Druck. Wer spielt jetzt für dich, wer ersetzt dich vielleicht, macht dich gar überflüssig? Wer will deinen Job, deine Karriere, deine Kohle? Ich habe das selbst als Schiedsrichter gemerkt und bin viel früher auf den Platz zurückgekehrt, als es gesund gewesen wäre.
 
Wer Burnout-gefährdet ist, ist auch Depressions-gefährdet. Eine Gefahr auch im Profifußball?
Natürlich. Und nur eine logische Folge dessen, was ich bereits gesagt habe. Lassen wir die Zahlen sprechen. Aktuell haben wir in Deutschland vier Millionen Depressionskranke. 53 Millionen Krankheitstage wegen Burnout und Depressionen. 10.000 Suizidfälle durch Depressionen. Im Vergleich: Pro Jahr sterben in Deutschland 3500 Menschen im Straßenverkehr. Das alles ist Fakt. Und macht selbstverständlich auch vor dem Fußball nicht Halt.
 
In Ihrer Tätigkeit als Referent und Mentalcoach wollen Sie in Zukunft auch verstärkt im Fußball arbeiten. Wie soll Ihre Arbeit aussehen?
Die wird sich grundsätzlich nicht von dem unterscheiden, was ich auch sonst in der freien Wirtschaft tue. Im Idealfall sieht das so aus: Ich stelle mich vor eine Mannschaft und spreche zunächst einmal von mir. Schildere, was mit mir passierte. Wie ich tickte, wie ich handelte, wie ich scheiterte. Selbstkritisch und schonungslos! Wer wirklich ein Problem hat, wird sich wiedererkennen und seine Denkweise ändern, und das ist schon mal ein erster Schritt.
 
Gibt es bereits positives Feedback aus der Szene?
Von Seiten des DFB hoffe ich einfach stark auf positive Signale. Meine Tür steht immer offen. Und es gibt zwei prominente Entscheider aus der Bundesliga, die mir intensiv den Rücken gestärkt haben und ähnlich denken wie ich. Ich habe allerdings versprochen, diese Namen nicht zu nennen, zu groß ist die Angst, dass in Zukunft die Schiedsrichter gegen ihre Klubs pfeifen.
 
Was auch immer in den kommenden Monaten oder Jahren zum Thema Mobbing/Burnout/Depression im Profifußball passiert – welche Rolle wollen Sie dabei spielen?
Robert Enkes Hilferuf wurde bis heute nicht erhört. Ich möchte der Botschafter für diese Themen sein. Weil ich es auf die extrem harte Tour lernen musste, dass wir eine andere Fehlerkultur leben müssen. Ich war am Ende, wollte mir das Leben nehmen, bin wieder gesund und fühle mich jetzt mit breitem Kreuz gewappnet für diese Mission. Niemand sollte sich so weit ins Abseits des Lebens treiben lassen, wie ich das bei mir zugelassen habe."

 

Profil Babak Rafati

 

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Quelle: www.11freunde.de/interview/babak-rafati-ueber-burnout-und-depressionen/page/2