Die dunkle Nacht hat diesen 19. November 2011 in Köln noch fest im Griff. Um sechs Uhr morgens, die Dämmerung ist noch weit entfernt, kauert Babak Rafati vor der Minibar in seinem Zimmer im Hyatt-Hotel direkt am Rhein und zündet „die letzte Eskalationsstufe“.
Erlösung im Überleben
Die Assistenten des Bundesliga-Schiedsrichters sorgen sich, als er vor dem Spiel nicht am Treffpunkt erscheint, sie brechen mit Hilfe des Hotelpersonals ins Zimmer ein, leisten Erste Hilfe, retten ihn in letzter Minute. Rafati, damals 41 Jahre alt, wollte sterben an jenem Tag. Nichts anderes als seine Erlösung suchte er. Er hat sie gefunden. Aber nicht im Tod, sondern in seinem Überleben.
Heute sagt Rafati, er sei „ein Vorbild dafür, wie man es nicht macht“. Heute will er helfen, dass Menschen im Berufsleben nicht unter Burnout, Leistungsdruck und Mobbing zugrunde gehen. Heute wirbt er dafür, sich nicht unter dem gesellschaftlichen Druck selbst zu zerfleischen. „Ich weiß, was es bedeutet, durch diesen Scheiß zu gehen. Ich weiß, was es bedeutet, so tief abzustürzen.“
Klare, engagierte Stimme
Mit 45 Jahren sieht Rafati immer noch so aus wie vor vier Jahren, so, wie ihn alle aus dem Fernsehen kennen. Sportlich und elegant, die dichten schwarzen Haare sind zurückgekämmt. Der Händedruck ist fest. Mit klarer, engagierter Stimme spricht er über die dunkelsten Momente in seinem früheren Leben. Über den Teufelskreis des „sich von sich selbst Entfernens“, wie er es nennt, diese Dramaturgie seines Absturzes.
Wie er gelitten hat unter „seelischer Folter“ und dem „menschenverachtenden Verhalten“. Wie er sich gemobbt fühlte als DFB-Schiedsrichter, der es zwar auf die Fifa-Liste und zu internationalen Einsätzen gebracht hatte, aber auch von den Profis viermal zum „schlechtesten Schiedsrichter“ gewählt worden war. Wie er nicht nur Unterstützung von seinen Kollegen und Vorgesetzten vermisste, sondern vielmehr daran zerbrach, dass er sich gerade von diesen vorgeführt fühlte.
Kampf mit Dämonen
In der schweren Depression, die Rafati entwickelte, kämpfte er gegen immer größere Dämonen. Er konnte sich keine Schwächen eingestehen. Er fühlte sich verletzt, unfair behandelt, zu Unrecht angefeindet. Wertlos. Es entstand ein chaotisches Dickicht an Emotionen und Gedanken, das er nicht mehr entwirren konnte. Auf die „ungesunden Umstände“ fand er „keine gesunde Reaktion“, so erklärt er es heute. Rafati ging in die Knie.
Heute steht er kerzengerade da. Als mahnendes Beispiel. „Ich fühle eine große gesellschaftliche Verantwortung“, sagt er. Er habe „diesen Schicksalsschlag erleiden müssen“, damit er endlich aufgewacht sei. „So kann es nicht weitergehen. Was mir passiert ist, ist ja nicht nur ein Phänomen im Spitzensport, sondern auch eins im alltäglichen Berufsleben.“
Referent statt Refree
Heute tritt der Hannoveraner, Sohn persischer Eltern, als Referent auf. Bei Wirtschaftsunternehmen und Führungskongressen. Er hat seine Autobiografie („Ich pfeife auf den Tod“) veröffentlicht, Ende des Jahres soll ein Dokumentarfilm folgen. Rafati hat diese Mission für sich entdeckt. „Ich will meinen Erfahrungen in Sachen Leistungsdruck, Mobbing und Burnout weitergeben“, sagt er.
„Ich stehe zu dem, was passiert ist, und zu meinen Schwächen.“ Er macht für sich eine Stärke daraus. Er steht dafür ein, dass auch Männer Gefühle haben und zeigen dürfen, weinen dürfen, er wettert „gegen diese antiquierten Männer-Ideale“, wie sie im Fußball, im Leistungssport, im Berufsleben und im Alltag immer noch vorgelebt würden. „Niemand kann uns verletzen, wenn wir das selbst nicht zulassen“, lautet ein Satz, der dem therapierten Rafati am Herzen liegt. In seiner Vision sieht er „eine Renaissance zu den Werten der Menschlichkeit“.
Immun gegen Nachrede
Rafati weiß, dass es im Fußball noch immer schwierig ist, mit Schwächen umzugehen. Mit Befindlichkeiten. Mit dem erdrückenden Leistungsdruck. Er schlägt den Bogen zur Gesellschaft. „Vor 20 Jahren wurde auch über Sex nicht öffentlich gesprochen. Heute ist dieses Tabu gebrochen. Ich möchte als ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter, der in der Öffentlichkeit stand, dafür einstehen, dass wir über Dinge reden, die falsch laufen. Wie es bei mir war oder im Berufsleben bei jedem normalen Menschen dort draußen passieren kann.“ Er habe feine Sensoren dafür entwickelt, meint Rafati. Und er sei mittlerweile immun gegen üble Nachrede.
„Wenn meine Chefs mich heute mobben würden, würde ich nicht mehr den Kampf annehmen und mich nicht permanent fragen, warum sind die Menschen so böse, warum tun sie mir das an. Ich hätte nur ein müdes Lächeln dafür übrig und könnte sagen: Du Blödmann fühlst dich doch nur stark, wenn du mich schlecht machst.“ Das wäre eine gesunde Reaktion.
Zu der er am 19. November 2011 noch nicht fähig war. Aber die er jedem ans Herz legt, dem es schlecht geht. Bevor es zur letzten Eskalationsstufe kommt."
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